300 Jahre Laurentiuskapelle in Wolferstadt
Vortrag am 18.August 2010
vom A.Wiedemann
Nun feiern wir also Geburtstag den 300. unserer St.Laurentiuskapelle – oder „unserer Kappel“ wie wir Wolferstädter sie liebevoll nennen, die nach 8-jähriger Bauzeit im Jahr 1710 eingeweiht wurde.
300 Jahre das ist eine respektable Zeitspanne - und dies nicht nur nach der Anzahl der Jahre - sondern vor allem in der Wahrnehmung aus der Sicht unserer Zeit. Die einen sehen in den vergangenen Jahrhunderten „die gute alte Zeit“, für die anderen war es die „dunkle Vergangenheit“, das finstere Mittelalter. Beide Sichtweisen werden der Wirklichkeit nicht gerecht.
Wir wollen heute abend versuchen, einen möglichst objektiven Blick in das historische Umfeld unserer Kapelle zu tun und vor allem die religionsgeschichtliche Entwicklung in unserer Pfarrei betrachten.
Gab es einen Vorgängerbau?
Zuerst stellt sich die Frage: Ist unsere heutige Kapelle der ursprüngliche Bau oder gab es eventuell schon früher eine Vorgängerin? Die schriftlichen Quellen hierüber sind dürftig,sehr vage und fragwürdig.
Im Zusammenhang mit der Weihe der Pfarrkirche gegen Ende des 12.Jahrhunderts wird in einem Schriftstück neben „St.Martin auf dem Berg“ auch ein Kirchlein „St. Laurentius im Tal“ genannt, das angeblich dem Kloster Berchtesgaden zugehörig war.
Von Interesse ist der Hinweis auf Berchtesgaden. Wir wissen: die erste urkundliche Erwähnung Wolferstadts geht auf einen Handel zurück, in dem Mangold von Werd einen Hof in Wolferstadt an das Chorherrnstift Berchtesgaden übereignete. Hatte eventuell Berchtesgaden noch mehr Güter in Wolferstadt? Sollten vielleicht mit dem Bau eines Kirchleins Herrschaftsansprüche z.B. gegenüber dem Patronatsherr von St.Martin, dem Domkapitel, geltend gemacht werden? Oder gehörte diese angenommene Kirche gar zu einer anderen Siedlung in der Nähe?
In den Urbaren der Deutschordens erscheinen Orte bzw. Gehöfte zwischen Zwerchstrass und Wolferstadt, die heute nicht mehr existieren: z.B.
- Ulenperch auf dem Ulberg,
- Spindelweidach zwischen Brennmühl und Magdalenenstein,
- Burkhartsweiler Richtung Döckingen,
- Wasserstall (s.Flurname) sowie etwa zwischen Holderstein und Spitzmühle
- Langenloh und Mahallberg.
Verschiedene Funde in diesem Gebiet weisen tatsächlich auf Siedlungen in dieser Gegend. In diesem Zusammenhang verdient der Flurname „Bayerles Schloß“ Beachtung. Wahrscheinlich wurden hier einst Mauerreste gefunden, deren Zuordnung nicht eindeutig festgestellt werden konnte. War es eine Burg, ein Gehöft oder gar die Vorgängerin unserer Laurentiuskapelle?
Das sind alles reine Spekulationen. Einen definitiven Beweis gibt es nicht. An der Stelle unserer Kapelle gab es jedenfalls keinen Vorgängerbau.
Die Kapelle von 1710:
Eine eindeutige und konkrete Information über unsere „Kappl“ finden wir in einer Inschrift auf der Rückseite des Hochaltars, wo es kurz uns bündig heißt
„Anno 1702 Ist dieße Capell von Grundt Auff gefiert worden“
Es handelte sich eindeutig um einen Neubau. Es fehlt jeder Hinweis, dass die Kapelle an Stelle einer älteren errichtet wurde.
Und weiter heißt es
durch fleiß und bemiehungen deß wohl Ehrwirdigen und Hochgelehrten herrn Licenciat Johann Bayr der Zeit pfarrer zu wolferstatt, durch beyhilff unterschiedlicher guettäter von welichen alle Auff Gegangne uncosten durch gemelten herrn pfarrer seint ersamblet und aufgebracht worden
Die Inschrift weist den damaligen Ortspfarrer Johann Bayr als Initiator und Motor des Baues aus und rühmt die Spendenfreudigkeit der Wolferstädter. Die Spenden flossen so reichlich, dass der Pfarrer statt der ursprünglich geplanten kleinen Kapelle ein größeres und aufwändigeres Kirchlein bauen ließ. Es sollte ein Zeugnis großer Glaubenstreue und Frömmigkeit der Wolferstädter Pfarrkiuder sein.
Das ist schon bemerkenswert, wenn man bedenkt, welch turbulente Entwicklung die Wolferstädter in ihrem religiösen und kirchlichen Leben durchgemacht hatten.
Wolferstadt in der Reformationszeit:
Im Zuge der Reformation mussten die Wolferstädter innerhalb eines Menschenalters nicht weniger als viermal den Glauben wechseln.
1.Wolferstadt wird protestantisch:
1542 trat der damalige Landesherr von Pfalz-Neuburg Ottheinrich zum Protestantismus über und ließ in seinem Territorium die Reformation durchführen. Damals hatten nach dem
Grundsatz „Wessen Herrschaft – dessen Religion“
alle Einwohner des Fürstentums den Glauben ihres Landesherrn anzunehmen. Der Übergang ging für das Volk relativ problem- und widerstandslos vonstatten. Die Veränderungen waren moderat: lediglich manche Bräuche wurden abgeschafft, wie z.B. das Herumführen des Palmesels oder Herablassen der Pfingsttaube.In der Regel trat der katholische Pfarrer zum neuen Glauben über und betreute sein Pfarrkinder wie zuvor. In der äußeren Form der Gottesdienste gab es kaum Unterschiede gegenüber früher. Die Gläubigen selbst merkten kaum etwas vom Glaubenswechsel, die Pfarrer dagegen um so mehr: denn Ottheinrich legte einen großen Wert darauf, dass sie nach dem Vorbild Martin Luthers verheiratet sein sollten. Sie nahmen sich deshalb kurzer Hand eine Frau, meist waren dies ihre Haushälterinnen.
2.Wolferstadt wird wieder katholisch:
1546: Schmalkaldischer Krieg: Die erste evangelische Epoche dauerte nur 4 Jahre. Der katholische Kaiser Karl V. ging im Jahre 1546 mit militärischer Macht gegen die protestantischen Fürsten vor, um in seinem Reich die religiöse Einheit wieder herzustellen. Im Verlauf des sogenannten "Schmalkaldischen Krieges" wurde unter anderem das Fürstentum Neuburg von den Kaiserlichen erobert. Ottheinrich musste nach Heidelberg fliehen und der kaiserliche Statthalter veranlasste die Wiedereinführung des alten Glaubens. Dies erwies sich jedoch als äußerst schwierig, denn in den meisten Ortschaften hatten die ehemals katholischen Geistlichen die Konfession gewechselt und (auf Drängen Ottheinrichs) geheiratet. Der akute Priestermangel zwang den Bischof ,Moritz von Hutten dazu, den abgefallenen Geistlichen die Rückkehr in den Schoß der Mutter Kirche zu ermöglichen. In einer Synode wurden die Bedingungen festgelegt
die Gottesdienste wieder im katholischen Ritus zu feiern,
der protestantischen Irrlehre abzuschwören,
Buße auf sich zu nehmen
und sich von den ungültig angetrauten Frauen zu trennen.
Dem fügten sich im Dekanat Monheim die meisten Geistlichen; lediglich der Pfarrer von Mündling und der Benefiziat von Itzing blieben hartnäckig und weigerten sich, ihre Frauen weg zu schicken. Sie wurden deshalb des Landes verwiesen. In Wolferstadt war Ambros Dentemer katholischer Priester.
3.Wolferstadt wird wieder evangelisch:
1552 : 6 Jahre später hieß es wieder „Kommando retour!“, denn Ottheinrich kam nach dem Fürstenaufstand der protestantischen Herrscher in sein Fürstentum zurück. Nun setzte er mit Nachdruck und rücksichtsloser Härte die Reformation durch und ließ die Pfarrer wieder auf seine protestantische Kirchenordnung verpflichten. Wer sich nicht zur neuen Lehre bekennen wollte musste das Land verlassen. In seinem radikalen Reformeifer veranlasste er, dass die Seitenaltäre und Bilder aus den Kirchen entfernt wurden. Da das Eichstätter Domkapitel als Hofmarks- und Patronatsherr Eigentumsrechte an der Wolferstädter Pfarrkirche geltend machte, kam es in der Folge zu heftigen Auseinandersetzungen mit Neuburg, die schließlich- unter Ottheinrichs Nachfolger Wolfgang- in den Jahren zwischen 1567 und 1576 in einen regelrechten Bildersturm ausarteten.
Auch das Wallfahren war den Reformatoren ein Dorn im Auge und wurde untersagt. Um dem Verbot Nachdruck zu verleihen, ließ Ottheinrich in seinem Territorium Wallfahrtskirchen schließen oder abbrechen. Im Falle der Wallfahrtskirche auf dem Ulberg verfügte Ottheinrich, das Dach abzudecken und sie so dem Verfall preis zu geben. Seitdem haben wir unsere Ulbergruine.
Unberührt von den Streitereien zwischen Neuburg und Eichstätt haben die Wolfertädter den erneuten Glaubenswechsel voll akzeptiert und sind sogar eifrige Lutheraner geworden. Die Gottesdienste scheinen gut besucht gewesen zu sein, denn die Kirchengemeinde stellte den Antrag,man solle noch eine Thür in die Kirche brechen,
denn viel volck kombt offt hineinGegen Ende des 16.Jahrhunderts hatte die Reformation unsere Gegend fest im Griff. Lediglich die bayerische Enklave Wemding hielt an der alten Lehre fest.
4.Wolferstadt wird wieder katholisch:
1616: Dann kam es in Neuburg zu einem folgenschweren Regierungswechsel. Nach dem Tode des überzeugten Lutheraners Philipp Ludwig folgte dessen Sohn Wolfgang Wilhelm. Dieser war schon vorher streng geheim zum Katholizismus übergetreten. Nach seinem Regierungsantritt leitete er sofort die Gegenreformation ein. Das bedeutete für Wolferstadt erneuten Konfessionswechsel, den vierten innerhalb von 75 Jahren. Dieses Mal regte sich jedoch landauf landab Widerstand. Der Monheimer Landrichter Spürinek hatte alle Hände voll zu tun, um die widerspenstigen Untertanen wieder katholisch zu machen. In Fünfstetten wurden gar 40 Soldaten eingesetzt, um die Leute in den katholischen Gottesdienst zu zwingen. Wer am Sonntag nicht in die Kirche ging, dem drohte ein saftiges Bußgeld. Wer sich hartnäckig weigerte, katholisch zu werden, wurde aus dem Land ausgewiesen. Den Leuten fiel es lange schwer, sich an die katholischen Gepflogenheiten zu gewöhnen. Vor allem das Knieen wollte gar nicht recht klappen. So berichtet z.B. der Monheimer Stadtpfarrer nach Eichstätt:
„Da sie nicht knieen wollten, hat Herr Landrichter von seinem Chörlein aus geschrieen und auch gedroht mit der Keuchen. Dann ist das Knieen vonstatten gegangen.“
Einen kuriosen Fall meldete der Pfarrer von Sulzdorf.
„In die Beichststühl haben sie sich gar nicht leicht schicken können. Da sie den Beichtvater darin sitzen sahen, haben sie gemeint, auch sitzen zu müssen und haben sich mit Mühe auf das obere Brett geschwungen“
Besonders eifrige und hartnäckige Lutheraner waren die Hagauer. Der Wolferstädter Chronist Conrad Fürst bemerkte dazu.
„Ja, eine Zeit lang kam es vor, daß der Mann zum lutherischen Gottesdienst nach Polsing wanderte, während das Weib den katholischen in Hagau oder Wolferstadt besuchte. Zuletzt siegte die Macht des Weibes. Weil das schöne und zugleich fromme Geschlecht im Katholischwerdenden den Männern voranging, so behauptet es zum steten Angedenken hiefür noch heute die Kirchenstühle zur rechten Seite der St.Vituskirche.“
Noch während des 30-jährigen Krieges hofften viele auf einen Sieg des Luthertums mit Hilfe des Schwedenkönigs Gustav Adolf.
Als sich das Kriegsgeschehen jedoch 1632 in unsere Gegend verlagerte litt die gesamte Bevölkerung - katholisch oder evangelisch - unter den Greueltaten der Soldaten beider Seiten.Vor allem das flache Land war schutzlos den plündenden und mordenden Banden ausgesetzt. Wer nicht durch Kriegshandlungen sein Leben verlor, an Hunger starb oder an der grassierenden Pest, der versteckte sich in den Wäldern oder suchte Zuflucht hinter den schützenden Mauern der Stadt Wemding; darunter war auch der Wolferstädter Pfarrer zusammen mit seinen Amtsbrüdern aus den umliegenden Ortschaften, die zum Teil vor ihren eigenen Leuten flüchteten.
Die Plünderungen geschahen nicht nur durch die Soldateska sondern auch durch die eigenen Leute.
Der damalige Dekan Lochbrunner aus Mündling berichtete nach Eichstätt über die Moral der Pfarrkinder in seinem Dekanat:sie seien gegen die Katholischen sehr aufgebracht, weil diese schuld seien an dem Unglück seit 16 Jahren (dem Jahr der Wiedereinführung des Katholizismus). Die eigenen Leute hätten sogar bei der Plünderung der Kirchen und Pfarrhöfe getreulich mitgeholfen und nicht weniger als die Soldaten selbst getan, darin sie alles, sogar die sacraria (Tabernakel) zerschlagen, verwüstet, allen Kirchenornat samt den Kelchen und Casulen (Meßgewänder) entführt, dass nirgends ein einziger Fetzen mehr zu finden. Bei der occasion (Gelegenheit)sei vieler Herzen Gedanken offenbar geworden, denn über allerlei erdicht „spomata“ (Spottgedichte),welche sie gegen die Geistlichen impudico ore evomieren (unverschämterweise verbreiten), laufen sie haufenweise zu unkatholischen Orten, besuchen allda die Predigten und Sakramente, schaffen ab, das Ave Maria zu läuten und zu beten; an hohen Festtagen pflegen sie Feld- und Hausarbeiten, wollen die Kruzifixe auf den Gräbern nicht mehr dulden, bringen vor, sie seien nunmehr schwedisch und ihrer Herrschaft nichts mehr schuldig, die Priester wollten sie nicht mehr hereinlassen, sondern die (evangelischen) Praedicanten.
Das kirchliche Leben in den Pfarreien war praktisch erloschen, die allgemeine Moral war auf dem Tiefstpunkt. Dazu kam noch der katastrophale Priestermangel.
Erst 1655 bekam Wolferstadt mit Ludwig Epple wieder einen Priester. Mit Hilfe der Jesuiten aus Dillingen und Ingolstadt fasste der alte katholische Glaube allmählich wieder Fuß und löste mit der Zeit sogar eine allgemeine religiöse Aufbruchstimmung aus.Die glückliche Wende bei der Belagerung Wiens durch die Türken im Jahre 1683 und deren Niederlage wurde als Fügung Gottes und Sieg der katholischen Christenheit über den Islam gefeiert. Die Leute schöpften wieder Mut und Lebensfreude und waren nach den Schrecken des 30-jährigen Krieges wieder mehr empfänglich für das Religiöse. Alte Wallfahrten lebten wieder auf und neue entstanden.
1686 pilgerte der Wemdinger Schustergeselle Franz Forell zu Fuß nach Rom und brachte jene Muttergottesstatue mit, die Ausgang für die Wemdinger Wallfahrt wurde. Als Ausdruck der wieder gewonnenen Lebensfreude und heiteren Frömmigkeit entstand beim Kirchenbau ein neuer Stil: der Barock. Das Gotteshaus sollte ein Abbild der himmlischen Herrlichkeit sein und die Gläubigen durch die Entfaltung von Pracht und Prunk in ihren Bann ziehen.
Vor diesem geistigen Hintergrund entstand auch unsere Kapelle. Man begann im Jahre 1702 und weihte sie 8 Jahre später 1710 ein.
Die relativ lange Bauzeit war auch eine Folge der Unsicherheiten während des spanischen Erbfolgekrieges. Die Entscheidungsschlachten zwischen Bayern und Frankreich einerseits und Österreich und England auf der anderen Seite wurden im August 1704 am Schellenberg und bei Höchstädt bzw.Blindheim geschlagen, wo die Bayern und Franzosen eine vernichtende Niederlage einstecken mussten. Damals sollte sich das Wasser der Donau rot vom Blut der getöteten Soldaten gefärbt haben. Die Kriegshandlungen berührten auch unsere unmittelbare Umgebung. Der österreichische General Johann von Palfi eroberte das von den Bayern gehaltene Wemding. Zahlreiche Wemdinger sollen damals nach Hagau bzw. Wolferstadt geflohen sein. Bis 1716 stand Bayern unter österreichischer Verwaltung. Die neuen Herrn schalteten und walteten als Besatzungsmacht und machten sich bei der Bevölkerung unbeliebt. In Bayern kam es zu Aufständen der Bauern unter dem Motto „lieber bayerisch sterben als österreichisch verderben“. In der Sendlinger Mordweihnacht wurde der Aufstand blutig niedergeschlagen. Diese widrigen Umstände behinderten u.a. auch den Fortgang der Bauarbeiten an unserer Laurentiuskapelle. Aber, was sich die Wolferstädter einmal vorgenommen und angefangen hatten, das brachten sie auch zum Abschluss.Wir sehen, dass das kirchliche Leben auch in Wolferstadt nicht immer geradlinig verlief sondern durch manche Krisen erschüttert wurde. Aber immer wieder folgte nach einem Tal eine neue Höhe. Im Vertrauen auf den Herrgott folgte nach jeder Krise wieder eine Blütezeit. Diese geschichtliche Erfahrung kann auch uns in der heutigen Zeit zuversichtlich in die Zukunft blicken lassen. .