Mühsamer Neubeginn
Frühjahr 1945:
Als im Frühjahr 1945 das Kriegsgeschehen in seine Endphase trat und amerikanische Truppen im süddeutschen Raum operierten, war an ein geordnetes Unterrichten nicht mehr zu denken. Häufiger Luftalarm und zunehmende Tieffliegerangriffe ließen es ratsam erscheinen, die Kinder nach Hause zu schicken bzw. vom Schulbesuch abzuhalten. Da der Großteil der Lehrkräfte zur Wehrmacht eingezogen bzw. zu kriegswichtigen Dienstleistungen verpflichtet war, konnte der Unterricht nur behelfsmäßig und zeitlich stark verkürzt erteilt werden.
Am 24.April 1945 rückten die Amerikaner in Wolferstadt ein. Damit kam der Schulbetrieb endgültig zum Erliegen. Den offiziellen Schlussstrichh zogen schließlich die Amerikaner mit der Direktive JCS 1067 vom April 1945, wonach alle Schulen den Betrieb einzustellen haben, sofern sie nicht schon zuvor geschlossen worden waren.
Als am 1. Oktober 1945 die Schulen wieder geöffnet werden sollten, sahen sich die Verantwortlichen mit enormen Schwierigkeiten konfrontiert sowohl in personeller Hinsicht als auch in materiellen Bereichen.
Lehrermangel:
Auf Grund einer Direktive der Militärregierung vom Juli 1945 waren alle Lehrkräfte, die vor Mai 1937 der NSDAP beigetreten waren, zu entlassen. In Bayern betraf dies 55 % der Lehrkräfte im Volksschulbereich.
Von der Volksschule Wolferstadt war der seit 1926 hier tätige Hauptlehrer Ludwig Hollerung betroffen. Von der Spruchkammer als „belastet“ eingestuft, war er vom Dienst suspendiert.
Zu den durch die Entnazifizierung verursachten Ausfällen kamen noch die kriegsbedingten Verluste an gefallenen, vermissten, schwerverwundeten oder noch in Gefangenschaft gehaltenen Lehrpersonen.
Den entstandenen Mangel versuchte man zu beheben:
1. durch die Anstellung von Schulhelfern, Aushilfs- und Ersatzlehrkräften.
2. durch die schrittweise Wiedereinstellung der von der Spruchkammer entlasteten Lehrpersonen
3. durch die Einstellung von Flüchtlingslehrkräften
4. durch Einstellung der vor 1945 von den Nazis entlassenen oder pensionierten Lehrpersonen
In der Praxis war es keine Seltenheit, dass Versicherungsleute, Zahnärzte, Finanzbeamte, kurzum Lehrfreudige aller Berufe in der Schulstube standen. Noch bis in die 50-er-Jahre hinein versuchte man, Personen, die irgendeine höhere Lehranstalt besucht hatten, in Schnellkursen für den Lehrberuf auszubilden.
In der chaotischen Zeit kurz vor und gleich nach dem Zusammenbruch „Hitler-Deutschlands“ um das Jahr 1945, lag die ganze Last und volle Verantwortung für den Schulbetrieb in Wolferstadt bei Fräulein Müller (genannt „Fifi“). Ab dem letzten Kriegsjahr, nachdem Kollege Hollerung zum Wehrdienst eingezogen worden war, musste sie sämtliche Klassen unterrichtlich betreuen und den Neubeginn im Oktober 1945 ebenso alleine organisieren. Tagtäglich machte sich Fräulein Müller in aller Früh von Wemding aus zu Fuß auf den Weg nach Wolferstadt. Vormittags unterrichtete sie die oberen Klassen und am Nachmittag die Kinder der Unterstufe. In der Mittagspause nahm sie ihr karges Mahl ein, das sie auf dem Schulofen zuvor aufgewärmt hatte. Am späten Nachmittag trat sie dann – wiederum zu Fuß – den Heimweg nach Wemding an und dies bei jeder Witterung!
Die Schulststellen an der Volksschule Wolferstadt waren in den ersten Nachkriegsjahren ausschließlich mit LAA (Lehramtsanwärter) oder Schulhelfern besetzt, die in Lehrgängen und Schnellkursen notdürftig ausgebildet und für den Lehrberuf vorbereitet wurden. Margarete Böss, Erika Brosch und Alois Bahr – alle drei Flüchtlinge bzw. Heimatvertriebene - das erste Nachkriegsteam, sahen sich mit der Riesenaufgabe konfrontiert, den Schulbetrieb wieder in Gang zu bringen.
Sachmangel:
Zum Lehrernotstand kam der Mangel an jeglichem Schulbedarf. Sämtliche Materialien für den Unterricht wie Anschauungsmittel (Bilder, Wandkarten, Atlanten usw.), sowie alles Schriftgut der Schulleitung und alle Archivalien waren verschwunden. Offensichtlich wurden sie gegen Ende der Nazizeit entfernt in der Absicht, eventuell belastendes NS-Material nicht in die Hände der Amerikaner kommen zu lassen. Nur Schulbänke und Wandtafeln waren noch vorhanden.
Die aus der Nazizeit stammenden Schulbücher waren verboten, da selbst in Rechenbüchern und in der Lesefibel für die Erstklässler Gedankengut des Nationalsozialismus Eingang gefunden hatte.
Die wenigen von der Militärregierung zugelassenen Bücher, meist Altbestände aus der Zeit vor 1933, waren rar und rasch vergriffen. Man behalf sich mit Materialien, die zum Teil für den Schulgebrauch völlig ungeeignet waren oder man „entnazifizierte“ belastete Schulbücher, indem man die abgebildeten Hakenkreuze überklebte und anstößige Seiten entfernte.
Der Unterricht musste stattfinden ohne jede Hilfsmittel. Es gab ja in dieser Zeit weder Heft noch Tafel, keinerlei Papier, keine Griffel oder Bleistifte zu kaufen. Die Döckinger Kinder beispielsweise rannten nach jedem Gewitter oder stärkerem Wind zur Kirche, um eventuell vom Dach heruntergefallene Schieferplatten als Tafel-oder Heftersatz für die Schule zu sammeln. Im übrigen behalf man sich mit den unbedruckten Rändern der wieder erschienen Tageszeitung für Schreibübungen.
Das Mobiliar in den Klassenzimmern war veraltet und zum größten Teil desolat. In die alten, aus der Zeit um 1880 stammenden Schulbänke,den sogenannten „Subsellien“, zwängten sich bis zu 6 Schulkinder.
Für den gußeisernen Füllofen fehlte es oft an dem nötigen Brennmaterial, sodass in der kalten Jahreszeit die Schüler angehalten wurden, von Zeit zu Zeit ein Scheit Holz oder ein Brikett mit in die Schule zu bringen.
Der bauliche Zustand des Schulhauses sowohl innen wie außen war inzwischen untragbar geworden, zumal in der Notzeit der Kriegs- und Nachkriegsjahre kaum Reparatur- oder Sanierungsarbeiten vorgenommen werden konnten. Fensterrahmen waren undicht, Fensterscheiben blind, Türen schlossen nicht, der Fußboden wies weite Risse auf, durch die nicht selten Mäuse schlüpften und im Schulsaal für Aufregung sorgten. Regenwasser tropfte zuweilen von der Decke und dauernde Nässe begünstigte Schimmelbildung an den Wänden und Fäulnis im Gebälk.
Mangel und Not herrschten an allen Ecken und Enden. Die in den Wintermonaten auffallend häufigen Schulversäumnisse wurden meist mit fehlendem „Schul`gwand“ oder Mangel an geeignetem „Schuhwerk“ begründet. Für die auswärtigen Familien (Hagau, Zwerchstrass, Rothenberg, Steinbühle, Erlach, Waldstetten, Weilheimerbacht, Dattenbrunn),deren Kinder täglich bei „Wind und Wetter“ einen weiten und beschwerlichen Schulweg zu Fuß hatten, war die Bekleidungsfrage ein echtes Problem. Angesichts der allgemeinen Notlage und der Sorge um das Lebensnotwendige blieben die Belange der Schule weitgehend zweitrangig im Hintergrund